PfeifeKlein
Fussballphilosophie
 
Dienstag, 15. Oktober 2002
Kein Berg so hoch, kein Tal so tief

Fussball im Osten
Von Christoph Dieckmann / arbeitet für "Die Zeit"
bekennender Fan vom FC Carl Zeiss Jena
27.05.2001

Die Fans des FC Carl Zeiss Jena wissen, wie man Valencia schlägt und gegen Pfullendorf verliert - jetzt betrauern sie den Abstieg in die vierte Liga

Dies ist ein alpines Drama, obwohl es im lieblichen Thüringen spielt. Aber so hoch, wie wir mal standen, ragt kein Thüringer Berg, und kein Tal ist so tief, wie wir gefallen sind. Wir alten Carl-Zeiss-Jena-Fans können erzählen, wie man Valencia schlägt, Benfica, Ajax, AS Rom. Die Kinder wissen, wie man gegen Pfullendorf verliert, gegen Wehen, Elversberg, die Sportfreunde Siegen. Letzteres geschieht gerade. Es ist Freitagabend im Ernst-Abbe-Sportfeld von Jena, und schon zur Halbzeit steht es 0:3.

Eine Hundertschaft von Jung-Zeissianern hat sich mit dem Dutzend Gästefans verbrüdert, kräht KÄMPFEN UND SIEGEN und Hohengesänge auf den eigenen Verein. WIR SIND DAS VOLK, johlen die Entzeissten, VORSTAND IN DIE PRODUKTION, AUSSER BARICH KÖNNT IHR ALLE GEHN! Barich ist nur Wechselspieler, aber seine Freundin Karina hat die RTL-Pop-Stasi-Show "Big Brother" gewonnen: der einzige Carl-Zeiss-Triumph dieser Saison. Die sportliche Bilanz: 18. und letzter Platz der Regionalliga (Staffel Süd), Abstieg in die Oberliga Nordost.

Zur Salzsäule erstarrt stehst du neben dem Siegener Tor. Fassungslos verfolgst du das traurige Gehampel deiner Blauweißen, denen der Schiri, damit sie nicht weinen, einen Elfmeter schenkt. Böcker trifft zum sogenannten Ehrentor. Tatsächlich, um ihre Ehre wollten sie kämpfen heute Abend, nach dem Mannschafts-Ultimatum an den Clubvorstand: Haltet Trainer Petrovic, dann bleiben wir auch in Jena, für weniger Geld und mit voller Kraft für den Wiederaufstieg. - Petrovic ist nicht zu halten, das weiß er selbst. Da kauert der einstige Retter vor der Presse und murmelt von verdienter Niederlage, und noch immer spricht sein Präsident und Schützer das Urteil nicht aus - nicht vor den Kameras und der grölenden Meute unterm Fenster. Doch in dieser Nacht wird Petrovics Telefon klingeln.

Ja, Nacht ist. Die Tragödie des FC Carl Zeiss Jena wäre auch aus Dresden, Leipzig, Magdeburg zu berichten: der Niedergang des Ostfußballs. Perry Bräutigam, ein großer Zeiss-Torwart, hat mal gesagt: Die Zeit heiligt alle Wunden. - Diese Zeit schlägt welche. Niemand behelligt uns mit dem Trost, dass Hansa Rostock und Energie Osteuropa sich an den Katzentisch der Bundesliga gedrängelt haben. Auch die hundert Ossis in Westvereinen stiften eher Schmerz als Stolz.

Dass ihre Herzenskicker wie die Söldner mit dem Gelde ziehen, finden Ostfans immer noch obszön. Die DDR-Oberliga war ja die konservativste der Welt. Im Kern blieben die Mannschaften über Jahre beieinander. Spielerwechsel gab es kaum, außer von schwächeren Vereinen in die Leistungszentren. Besonders Erich Mielkes BFC Dynamo profitierte von "Delegierungen", aber in den Siebzigern auch der FC Carl Zeiss. Die Clubs hatten Träger-Kombinate, und Jena war das Wirtschaftsmekka der DDR. Dort zu spielen reizte auch materiell. In Aue krächzen die ganz alten Wismut-Kumpel noch heute, wenn Jena kommt: Nieder mit der Fiat-Elf!

Jenas Goldenes Zeitalter begann, als 1958 Georg Buschner Cheftrainer wurde. Buschners Rezept hieß Kondition. Er drehte den Bierhahn zu, engagierte Sportmediziner und schliff sich eine Kavallerie, die im heimischen Stadion alles flachritt. 1963, 1968 und 1970 wurde Jena Meister und hält den schier unauslöschlichen Rekord von 75 ungeschlagenen Heimspielen hintereinander. In Serie produzierte der Verein Nationalspieler, deren berühmteste die Brüder Roland und Peter Ducke waren.

1970 musste Buschner Nationaltrainer werden. Er sträubte sich vergebens. Ein Jahr noch amtierte er in doppelter Funktion und ließ mitunter den FC Carl Zeiss Jena als DDR-Equipe auflaufen.

1971 übergab er die Vereinsmannschaft seinem jungen Assistenten, der dann zwölf Jahre Zeiss-Coach blieb: Hans Meyer. Meisterehren blieben Meyer verwehrt, aber dreimal holte er den Pokal. Der FCC war Stammgast im Europacup. 1979 gewann er 2:1 bei West Bromwich Albion - der erste deutsche Europapokalsieg bei einem englischen Verein. 1981 dann die Krönung: Europacup-Finale gegen Dynamo Tbilissi - in Düsseldorf. Dort begähnten 9000 Besucher ein Spiel, das Prag oder Budapest zum Wallfahrtsort gemacht hätte. Tbilissi siegte 2:1.

 
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